Sprache lernen heißt Kultur verstehen, oder:

Warum man im Ausland besser Englisch lernen kann

“Was ist Dein größter Wunsch im Leben?” “Alle Sprachen der Welt sprechen lernen.” So naiv war mein 6 Jahre altes Ich. Naiv, weil mir nicht klar war, wie schwierig es sein kann, eine Fremdsprache zu lernen. Schnell wurde mir klar, dass es mehr als ein Leben dauern würde, dieses Ziel zu erreichen.

Ich war nicht nur ein langsamer Lerner, sondern hatte auch einfach selten die Gelegenheit meine Sprachfähigkeiten zu trainieren. Umso mehr war ich aber entschlossen dies nach der Schule zu ändern. Ich wollte mich also nach meinem Abitur zuerst einmal darauf konzentrieren, meine erste Fremdsprache besser zu lernen. Englisch, so hatte ich das Gefühl, war einfacher zu perfektionieren als Niederländisch oder Französisch. Außerdem gab mir Englisch eine ganze Reihe von Möglichkeiten im Ausland die Sprache zu trainieren.

Schnell hatte ich die englischsprachigen europäischen Länder ausgeschlossen. Die Nähe zur Heimat würde mich viel zu sehr verlocken regelmäßig nach Hause zu fahren. Nach ein wenig Recherche wurde mir klar, dass ich mich eigentlich schon längst für die USA entschieden hatte. Viel von dem, was ich außerhalb des Schulunterrichts über die englische Sprache gelernt hatte, war durch soziale Medien, Film, Fernsehen und Popmusik zu mir durchgedrungen.

Immer mehr wird sich in unserer Umwelt darauf verlassen, dass wir Englisch sprechen und verstehen. Es ist die Sprache, die wir sprechen, wenn wir in einem Land Urlaub machen, in dem wir die Landessprache nicht sprechen. Es ist auch die Sprache, die immer häufiger für Werbung genutzt wird. Die meisten Lieder im Radio sind auf Englisch, ganz gleich, ob der Interpret Muttersprachler ist oder nicht – ganz einfach, weil man Internationalität zeigen will.

In fast jedem Studium wird Englisch vorausgesetzt und Texte oder Vorträge auf Englisch in den Lehrplan eingebunden. Ohne Englisch kommt man heute nicht weit und wer sich sicher in der Sprache fühlt hat hier mehr als einen Vorteil. All das habe ich in meinem Leben schon auf die eine oder andere Art gespürt, aber was für mich immer noch die bedeutendste Errungenschaft meiner Au Pair Erfahrung ist, ist die Fähigkeit mich mit so vielen Menschen unterhalten zu können.

Meine Reise zum richtigen Englisch lernen

Als ich mich zum ersten Mal voll von der englischen Sprache umgeben sah, hatte ich mehrere Jahre Schulenglisch auf dem Buckel. Zwar war ich niemals der Star der Klasse gewesen, aber hatte zumeist dem Unterrichtsfluss folgen können. Und ich hatte Spaß daran, Englisch zu lernen. Aber jeden Tag nur Englisch zu hören und zu sprechen, machte schon etwas mit der Art wie ich dachte und auch immer noch denke, denn Sprache formt Ideen und Ideen formen Sprache.

In meinem ersten Jahr als Au Pair in Amerika habe ich viele deutsche Freunde gehabt, mit denen ich in meiner Freizeit wann immer möglich Deutsch sprach. Das hatte offensichtlich zum Ergebnis, dass sich meine sprachlichen Fähigkeiten nicht so sehr verbesserten, wie ich es gewollt hätte. Darum machte ich es mir zur persönlichen Herausforderung, dass ich in meiner Verlängerung nur Englisch sprechen würde – niemals hätte ich aber gedacht, wie sehr dies nicht nur meine Fähigkeiten in der englischen Sprache, sondern auch mein interkulturelles Verständnis verbessern würde.

Ich glaube nicht, dass ich jemals hätte voraussagen können, wie sehr meine Zeit als Au Pair meinen Sprachgebrauch beeinflussen würde. Noch Jahre später plane ich jede Konversation, die ein bisschen Bedacht erfordert, in meinem Kopf auf Englisch vor. Nicht nur jene, die auf Englisch gehalten werden, nein, auch die, die ich auf dem Amt, mit Kollegen, mit meiner Chefin oder mit Familie und Freunden führe.

Deshalb stehe ich dann auch manchmal vor meiner Großmutter, die kein Wort Englisch versteht, und muss überlegen, wie ich das jetzt auf Deutsch sagen kann. Jeder, der mehr als eine Sprache fließend spricht, kennt dieses Problem wahrscheinlich auf die eine oder andere Weise. Sprache, die ins Denken übergeht und Denken, das - vielleicht auch manchmal in die “falsche” - Sprache übergeht. Bis heute schreibe ich meine Einkaufszettel auf Englisch und habe mir auch nicht abgewöhnt, “excuse me” zu sagen, wenn ich niese.

Die Idee vom träumend Englisch lernen

Wenn es darum geht zu erklären, wie sicher man sich im Englischen (oder auch einer anderen Sprache) fühlt, erzählen viele davon wie sie plötzlich in der Zweitsprache träumten. Damit wird versucht zu zeigen, dass eine unterbewusste Umstellung in den Tiefen unseres Gehirns passiert. Träume sind außerdem in ihrer Existenz so universal menschlich, dass fast jeder versteht, worum es geht, wird ein solcher als Gerüst für einen sprachlichen Kontext genommen.

Nun war ich mehrere Jahre als Au Pair in den USA und habe während meines Studiums in Englisch auch zwei Auslandssemester in den Vereinigten Staaten absolviert, aber ich kann nicht sagen, dass ich jemals explizit auf Englisch zu träumen begonnen habe, denn ich hatte zuvor auch nie auf Deutsch geträumt. Sprache ist ein Medium um Ideen zu vermitteln.

Im Kopf haben Ideen nicht wirklich eine gesprochene Sprache. Sie schwirren umher als abstrakte Bilder, die man zwar versteht, aber sie sind nicht in Worte zu verpacken. Etwas hat sich in der Sprache meiner Träume allerdings geändert als ich im Ausland Englisch lernte. Die Personen in meinen Träumen sprachen meist Englisch, manchmal Deutsch und nicht selten ein Gemisch aus beiden Sprachen, aber sie verhielten sich auch mehr und mehr amerikanisch, weil ich meinen Lebensmittelpunkt zumindest zeitweise in die USA verlagert hatte.

Mein Unterbewusstsein hatte im Laufe meiner 21 Monate als Au Pair irgendwann auf Englisch als Standardsprache umgestellt. Deutlich wurde das auch an anderen Stellen. Zum Beispiel als meine Eltern dann für meinen Reisemonat in die USA kamen und es zuerst ganz ungewohnt war, mit jemandem vor Ort Deutsch zu sprechen. Einen Abend zu Beginn unserer Reise durch die Vereinigten Staaten war ich so müde, dass ich samt Klamotten im Hotelzimmer einschlief. Als meine Mutter mich sanft weckte und mich bat, mich doch bitte umzuziehen, murmelte ich eine verschlafene Antwort: “Okay, I will get up, but I really don’t know why I am so tired. Anyway, you could have let me sleep. Who cares that I am sleeping in jeans?

Obwohl ich damals nicht ganz wach war, erinnere ich mich gut, wie meine Mutter, nachdem sie mich zweimal fragte zu wiederholen, was ich sagen wollte, lächelnd ihren Arm um mich legte und sagte: “Ich hab kein Wort von dem verstanden, was Du gesagt hast, aber Du kannst es mir morgen gerne nochmal auf Deutsch sagen.” Meine Mutter spricht und versteht zwar Englisch, aber in dieser gewöhnlichen Situation war sie einfach nicht vorbereitet gewesen, mit der Tochter, die sie 19 Jahre lang auf Deutsch erzogen hatte auf Englisch zu sprechen.

Kultur verstehen, Sprache lernen = Kultur denken, Sprache sprechen

Neben Träumen spielt auch Kultur eine wichtige Rolle. Um sich auf eine Sprache einzulassen und sie in einer nativen Umgebung fast wie ein Muttersprachler zu lernen heißt, sich auf die Kultur einzulassen. Auch die Häufigkeit bestimmter benutzter Worte ist eine kulturelle Eigenschaft. Englisch war für mich so lange eine Fremdsprache, wie ich nicht in einer englischsprachigen Kultur gelebt hatte.

Sprache wirklich zu lernen und zu verstehen heißt auch die Kultur, in der sie gesprochen wird, zu reflektieren. Niemals geht dies so gut als sich in allen Bereichen des täglichen Lebens auf diese Kultur einzulassen. Als Au Pair war ich sofort in das Familienleben meiner Gastfamilie einbezogen und habe dort von alltäglichen Gesprächen über Familienausflügen bis hin zu Diskussionen über „Breaking News“ und die politische Lage der Welt alles mitbekommen.

Ich konnte allerdings gleichzeitig das Arbeitsleben meiner Gasteltern durch ihre Brille sehen und mit der Vollzeit-Kinderbetreuung auch das Arbeitsleben am eigenen Leib erfahren. Darüber hinaus konnte ich auch Aspekte des Studentenlebens in den USA kennen lernen. Zusammen halfen mir diese Eindrücke, ein besseres Bild von der US-amerikanischen Kultur zu bekommen und meine Freunde aus aller Welt, die ich als Au Pair kennen lernen durfte, halfen mir, die Unterschiede zwischen meiner eigenen Kultur und der neuen besser zu reflektieren und eine differenzierte Sicht auf Dinge zu bekommen. Der Einblick in die Mentalität und die Eigenarten der Amerikaner bildeten die Grundlage für eine selbstbewusste Anwendung des Englischen.

Ich brauchte ein wenig, mich darauf einzustellen, dass jemand komplett Fremdes mein T-shirt kommentierte oder die Kassiererin beim Supermarkt mich fragte, wie es mir geht. Obwohl es kein Problem wäre, die Phrasen sprachlich zu übersetzen, wäre es dennoch komisch, sie in Deutschland so anzuwenden wie es die Amerikaner tun.

Deshalb weiß ich jetzt, dass man auf die Frage „How are you?“ nicht das gleiche antwortet wie auf „Wie geht es Dir?“ und dass es okay ist, anstatt einer langen, sachlichen Erklärung über den Stand der Dinge auch einfach mal kurz „Good, and how about you?“ zu antworten. Niemals hätte ich dies verstanden, hätte ich mich nicht als Au Pair in die amerikanische Kultur integriert. Eine Sprache zu sprechen heißt nämlich auch immer, die Sprache zu (er)leben.